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Zeitzeuge am Staatl. Koblenz-Kolleg

„Und ich dachte nur noch: Jetzt ist es vorbei…“

 

Diese Worte gingen Hans Müller durch den Kopf, als er zusammengekauert in einem Luftschutzraum am Boden saß, während US-Bomber ihre tödliche Ladung am 11. November 1944 über Lahnstein abwarfen. Glücklicherweise kam Herr Müller körperlich unversehrt davon, sodass er nun, rund 70 Jahre später, seine einschneidenden Erfahrungen am 20. Februar 2015 mit dem Leistungskurs Geschichte der K4 teilen konnte. In einer von unserem Geschichtslehrer Herrn Dr. Heinz organisierten gemütlichen Runde berichtete er, was er als junger Gymnasiast zur Zeit des Nationalsozialismus, im Zweiten Weltkrieg und während der nachfolgenden Besatzungszeit erlebte.

Ein typischer Schultag im Jahre 1940 begann mit Strammstehen und einem Gruß an den „Führer“, der für alle Schüler verpflichtend war, und endete für den seinerzeit zehnjährigen Hans Müller zweimal wöchentlich mit den obligatorischen Aktivitäten der Hitlerjugend. Trotz dieser durch die Nationalsozialisten eingeführten Maßnahmen ließ sich Herr Müller weder in seiner Schulzeit noch als Mitglied der HJ einer nationalsozialistischen „Gehirnwäsche“ unterziehen. Vielmehr wusste der sympathische Lahnsteiner mit Humor und Optimismus die positiven Aspekte hervorzuheben, die er in der Marine-HJ und auf den zahlreichen Gruppenfahrten erfuhr. Brenzlig wurde es nur, wenn die Gruppenführer mit Fangfragen à la „Was kommt nach dem Dritten Reich?“ auf die Jungs losgingen. Freiwillig dagegen war Herr Müller als katholischer Messdiener tätig, was ihn gleich zweimal den Knoten seines Halstuchs kostete, als er wegen Unpünktlichkeit „entehrt“ wurde.

Eindrucksvoll bewies der Zeitzeuge, dass er zwar bis heute das „Fahnenlied der Hitlerjugend“ beherrscht, die Strategie der Nazis aber, ein Heer junger führertreuer Nationalsozialisten heranzuzüchten, bei ihm nicht aufging. Im Gegenteil: Nach Kriegsausbruch setzte Hans Müller sich über das strenge Verbot hinweg, Feindsender zu hören, und lauschte jeden Nachmittag um 15 Uhr, ohne es gar seinen Eltern zu erzählen, dem deutschsprachigen Sender der BBC. Was er anfangs nicht ahnte war, dass seine Mutter sich ebenfalls hinter dem Rücken der Familie mittels britischer Radiosender über das Kriegsgeschehen informierte. Erwischt wurden sie zum Glück nie, denn das hätte ihnen das Attribut „Reichsfeinde“ und schlimmstenfalls die Todesstrafe einbringen können.

Um die deutsche Zivilbevölkerung zu demoralisieren und eine Kapitulation zu erzwingen, gingen Briten und Amerikaner ab 1942 verstärkt dazu über, deutsche Städte zu bombardieren. Hans Müller erinnerte sich noch zu gut an die schlaflosen Nächte und die Flucht in die Luftschutzräume. Die Lahnsteiner Schulen verkürzten aufgrund der britischen Nachtangriffe ihre Unterrichts- sowie Pausenzeiten und verlegten den Schulbeginn auf 10 Uhr am Morgen. Bei dem eingangs erwähnten schweren Bombenangriff am 11. November 1944 wurden sie jedoch völlig zerstört, sodass nun kein Unterricht mehr stattfinden konnte. Hans Müller wird wohl für immer im Gedächtnis bleiben, wie er an jenem Tag zusammengepfercht mit einer Hausmeisterfamilie in einem Keller saß und hörte, wie die Bomben immer näher kamen. Voller Emotion schilderte er uns seine Todesangst: „Ich riss nur noch meinen Mund auf und hielt den Atem an, damit meine Lunge nicht platzt“. Das Haus wurde förmlich aus seinen Angeln gehoben, als nebenan ein Sprengkörper einschlug. Doch wie durch ein Wunder überlebte er. Auf seinem Weg durch den anhaltenden Bombenhagel musste er sich nochmals in einen Luftschutzraum flüchten, während die Umgebung dem Erdboden gleichgemacht wurde. „Als schließlich noch die Tieffliegerangriffe einsetzten, war nichts und niemand mehr sicher“, erzählte Hans Müller mit gebrochener Stimme.

Nachdem im Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet worden war und Deutschland offiziell als besiegt galt, kam es zu einer sich bald verstärkenden Hungersnot. Lebensmittel wurden stark rationiert und Unmut machte sich breit. Die Schuld dafür suchte man bei der französischen Besatzungsmacht, die sogar Feldwachen aufstellen musste, damit nicht alle als Grundnahrungsmittel dienenden Kartoffeln gestohlen werden konnten. Er selbst sei mehrmals losgezogen, um von Feldern im fernen Mülheim-Kärlich zu hamstern, erzählte Herr Müller. Als er eines Tages mit einem Koffer voller „Ernteerträge“ auf dem Heimweg war, entging er nur knapp einer Beschlagnahme der Nahrungsmittel durch französische Besatzungsangehörige, da er behauptete von einer Reise zu kommen.

Auch bei der Plünderung eines Lebensmitteldepots der Wehrmacht sei er dabei gewesen. Der dabei abgestaubte Bommerlunder ließ sich gut eintauschen, wie er uns mit einem Augenzwinkern verriet. Aber nicht nur Nahrungsmittel waren in der Nachkriegszeit Mangelware. Aufgrund der Papierknappheit mussten die Schüler den Unterrichtsstoff so klein wie möglich in ihre Hefte bringen. Die Kunst hierbei war es, noch leserlich genug zu schreiben, was Herrn Müller sehr gut gelungen ist, wie wir selbst in dem von ihm mitgebrachten Anschauungsmaterial sehen konnten. Darunter ein von der französischen Militärregierung herausgebenes Lehrbuch der französischen Sprache, in dem der Lahnsteiner noch heute gerne blättert

Blickt er auf die Besatzungszeit zurück, hat er immer den Hunger und seine schmerzenden Füße im Kopf, die er sich auf  Holzsohlen wund lief. Doch seine schönste Erinnerung erzählte er uns voller Rührung mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Als er Jahre nach Kriegsende mit den anderen Heranwachsenden aus seiner Heimatstadt ein Seifenkistenrennen plante, wurde er darauf hingewiesen, auch den Kreisdelegierten der französischen Besatzungsbehörde einzuladen. Dieser stand eines Tages vor seiner Haustür um sich für die Einladung zu bedanken und versprach, den Siegern einen Preis zu stiften. Kurz darauf kam er mit einer hochwertigen Armbanduhr und einer ledernen Tasche wieder.

Während seiner Erzählungen war Herrn Müller deutlich anzumerken, dass ihm seine bewegte Kindheit und Jugend zur Zeit des Nationalsozialismus und in der darauf folgenden Besatzungszeit bis heute beschäftigt. Der Leistungskurs Geschichte dankt ihm herzlich für seinen Besuch und wünscht ihm für die Zukunft alles Gute. Ein besonderes Dankeschön geht auch an unseren Geschichtslehrer Herrn Dr. Heinz, der uns diese „Zeitreise“ ermöglicht hat.

Wendy Bäumer, Petra Weber, K4

 

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